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"Was wirst du finden befragst du die Runen,
Die hochheiligen,
Welche Götter schufen, Hohepriester schrieben?
Daß nichts besser sei als Schweigen."
~ Havamal, des Hohen Lied - Edda

Runen - das "I-Ging der Wikinger"

Obwohl Runen tatsächlich auch das I-Ging der Wikinger genannt werden, haben sie doch als einziges der gebräuchlichen Divinationssysteme eine wesentlich weitreichendere Bedeutung, als den bloßen Gebrauch als Orakel. In der Tat sollen Wikingerschiffe durch die Aussagen von Runenmeistern sicher durch Stürme oder sternlose Nächte gesteuert worden sein. Und sicherlich können Runen sehr hilfreich sein, wenn man den Kurs seines Lebens bestimmen will und einen unparteiischen Berater braucht, um die Klippen, derer man sich vielleicht noch gar nicht gewahr ist, zu umschiffen.

Doch schon im Wortstamm runa = gothisch = Geheimnis, das Geheime; runar = altnordisch = Mysterien; rhin = walisisch = magischer Zauber - ist zu erkennen, dass Runen etwas von sich aus in sich tragen (etwas Geheimes in sich tragen, ein Mysterium, einen Zauber) und somit wesentlich mehr eigene Kraft aufweisen, als es einem schieren Divinationssystem oder Alphabet zukäme.

Runen wurden auch als Schriftzeichen genutzt, doch waren sie nachweislich bereits im Gebrauch, bevor sich überhaupt eine Schriftsprache im germanischen Raum entwickelte. Verwendung fanden Runen somit ursprünglich als heilige Zeichen, die magische Kräfte besaßen. Sie wurden in Schwerter, auf Türstöcke, in Tongefäße oder Hölzer geritzt bei Ausgrabungen gefunden. Einige Runendarstellungen auf Felswänden oder Steinen kann man in die Bronzezeit zurück datieren, runenähnliche Zeichen kann man bereits einer frühsteinzeitlichen Entstehung zuordnen. Der genaue Entstehungszeitraum ist bisher jedoch noch ungeklärt.

Runenmeister gehörten in früherer Zeit zu den angesehensten und mächtigsten Männern und Frauen einer Sippe, eines Stammes oder Volkes. Die Kraft der Runen wuchs mit der Erfahrung des Runenmeisters, der sie benutzte, um daraus die Mysterien zu deuten und mit ihrer Hilfe mächtige Zauber wirkte. Das allmähliche Verschwinden der Runenalphabete hängt stark mit der wachsenden Einflußnahme der Kirche zusammen, der die magische Kraft der Runen ein sprichwörtlicher Dorn im Auge war. Vor ca. 300 Jahren starb in Island einer der letzten urkundlich erwähnten Runenmeister und mit ihm und den anderen seiner Zunft geriet das Wissen um die Macht der Runen in Vergessenheit.

Gebräuchliche Runenalphabete gab es in vielen verschiedenen Varianten mit unterschiedlicher Zeichenanzahl, was wohl daraus resultierte welcher Phonetik die Sprache unterlag, die wiedergegeben werden sollte. Die Anordnung der Runennamen in einem Alphabet ist mehr oder weniger zufällig, keinesfalls aber der Klang, mit welchem der Runename beginnt. Es war von besonderer Wichtigkeit, dass die Rune eine phonetische oder besser gesagt mnemonische Kraft besaß, da sie eben nicht nur ein bloßes Schriftzeichen, sondern ein magisches Zeichen mit geheimnisvollen Kräften war und ist.

Wir unterscheiden heute zwischen dem älteren Futhark und einem neueren (verkürzt auf 16 Runen), wobei das ältere Futhark mit 24 Runen das bekanntere und allgemeinere ist. Futhark bezeichnet allgemein ein Runenalphabet. Der Name entspricht den Anfangsklangwerten der ersten sechs Runenzeichen - Fehu, Uruz, Thurisaz, Anzus, Raido, Kano - die übrigens als einzige in jedem Runenalphabet gleich sind, am Anfang stehen und dort gleich angeordnet sind.

Die 24 Zeichen werden in drei Gruppen zu acht Runen aufgeteilt, denn drei und acht hatten als Zahlenwert magische Bedeutung. Die einzelnen Gruppen sind als Aettir geläufig und werden jeweils einer Gottheit zugeordnet. So gelten die ersten acht (in welchen auch die ersten sechs, also Futhark sind) als Freyrs Acht, die zweiten werden Hagals Acht und die dritten Tyrs Acht genannt. F ist der Anfang dieser acht und F ist auch der klangliche Anfang von Freyr und Freya, den Gottheiten der Freude, des Lebens, des Wachstums. H ist der Anfang der zweiten Aettir (Hagalaz ist die erste Rune der zweiten acht) und wird mit Wotan in seinem Aspekt als Har (der Hohe) oder Hotter (Wotan der Wanderer) in Verbindung gebracht. Aber auch mit Hagel (Hagalaz) oder den Göttinnen Helja (Unterwelt) und Hyndla (Wölfin) assoziiert.

Die zweiten acht sind stark von Naturphänomenen geprägt. Die dritte Aettir beginnt mit der Rune Tyr, die dem zweigeschlechtlichen Urgott zugeordnet wird. Die drei Aettir könnten Asgard - die Götterwelt, Midgard - die Welt der Menschen (passt schön zu den Naturphänomenen, die in diesen acht zahlreich vertreten sind, Hagel, Eis, Schnee) und Utgard - die Urwelt repräsentieren, sie könnten aber auch einen jahreszeitlichen Zyklus wiedergeben. So ganz einig sind sich die Experten darüber noch nicht.

Runen Orakel

Die Nutzung der Runen, als Orakel geht wahrscheinlich auf alte Bräuche des "Loseziehens" zurück wobei hierzu sowohl Buchstaben als auch Bilddarstellungen verwendet wurden, was die Runen als recht geeignetes "Medium" sowohl als auch erfüllten. Man zog einzelne Lose (sein Los) und lies es deuten.

Heute werden Runen vorzugsweise aus einem Säckchen gezogen (ähnlich wie Lose) und entweder ausgelegt oder in speziell dafür markierte Felder geworfen. Dem Runenmeister obliegt es dann, die Zuordnung der Bedeutung in Übereinstimmung mit dem Problem des Fragenden und der Lage der Runen in ihrer Gesamtheit zu bringen. Runen sind in ihren Aussagen wesentlich präziser als andere Orakel, da sie dem Runenmeister viel weniger Spielraum zur Interpretation lassen.

Doch nur als Orakel verwendet, haben die Runen nicht einmal einen Bruchteil ihres Mysteriums preisgegeben, denn Runen fordern einen jeden, der die "Meisterschaft" erlangen will auf, tatsächlich und mit vollem Körpereinsatz mit ihnen zu arbeiten, um sie zu begreifen (im wahrsten Sinne des Wortes), umzusetzen, die Mysterien selbst zu erfahren. Wer sich darauf nicht einlassen will, der wendet sich besser einem bequemeren Orakelsystem zu und überlässt die Runen jenen, die sich nicht scheuen, eine Neumondnacht im Wald zu verbringen, um die tiefere Bedeutung von Inguz, dem Neubeginn zu erfahren.

Runen und Nationalsozialismus

Runen gerieten lange Zeit in Vergessenheit, erlebten eine kurze und eher unrühmliche Renaissance bei den Nationalsozialisten, denen die Wirkung der Runensymbole sicherlich bekannt gewesen sein dürfte. Man mag darüber spekulieren, wie vertraut Hitler und seine Gefolgsmänner mit der Kraft der Runen nun tatsächlich waren, nicht spekulieren lässt sich allerdings über die Bedeutung, die die Nazis den Runen zuschrieben, die mit der ursprünglichen Bedeutung nur noch wenig bis gar nichts gemein hatte.

Die ursprüngliche Zuordnung und Bedeutung der Runen, war in Deutschland durchaus bekannt, wurde jedoch ignoriert. Stattdessen machte sich ein gewisser Guido von List einen Namen, indem er - plötzlich grundlos und nur für kurze Zeit erblindet - ein neues Runenalphabet mit nur mehr 18 Runenzeichen "empfängt" - heute würde man das channeln nennen - und selbiges mit der neuen ("besseren") Bedeutung publik macht. Nur ein paar kuriose Beispiele welche Absurditäten aus Lists "formidablen" neuen Runenalphabet entstanden sind, seien hier genannt.

So entsteht für Sowelu (die Sonnenrune, besser bekannt als SS Rune) die Bedeutung des schöpferischen Geistes, der siegreich sein soll. Die ursprüngliche Assoziation zu Sowelu ist Energie der Sonne, Ganzheit, Lebenskraft, Selbsterkenntnis. Sich öffnen für die Energie der Sonne, aufnehmen, was gegeben wird und wissen, dass die Energie nicht aus einem selbst kommt, sondern dass sie gegeben wird, damit man sie empfange und sich dem göttlichen beuge.

Noch absurder wird die Zuordnung von Isa, die Rune des Stillstandes, des Eises, die Rune, die eine Zeit des Wartens ankündigt, eine Zeit der Kontemplation. List und seine Anhänger machen in dem "überwältigenden" neuen Runenalphabet daraus eine Rune des "Meisterwillens" (was auch immer darunter zu verstehen sei), der alles - auch den Willen eines anderen - einfrieren kann und somit die Unterwerfung unter den "Meisterwillen" zu erzwingen im Stande ist. Hier drängt sich fast schon schmunzelnd der Vergleich zu obergeheimer und mystischer neuerlich erfundener Eismagie auf. Ob der Schöpfer selbiger das so im Sinn hatte, mag allerdings zu Recht bezweifelt werden.

Spätestens bei Algiz, das für einen Elch steht, für Schutz aber auch für Binsengras (Algiz sieht aus wie ein Baum) wird die neue Bedeutung fast schon lustig, wenn es nicht insgesamt ein so düsteres Kapitel so plastisch beschreiben würde. Algiz wird kurzerhand auf den Kopf gedreht, somit als Wurzel zu deuten und beschreibt - Achtung! - den Wurzeldämon "Weib", der nichts menschliches an sich hat und den man zwingen muss, endlich ein Mensch zu werden.

Anbetracht dieser kleinen Exkursion in die nationalsozialistische "Erkenntnis" über die Mysterien der Runen, kann man dieses kurze, unrühmliche Kapitel getrost außer Acht lassen, wenn man sich der tatsächlichen Kraft der Runen zuwenden möchte. Es sollte außer Zweifel stehen, dass die meisten Nazis davon wenig bis überhaupt keine Ahnung hatten und sich lediglich auf recht unqualifizierte und ziemlich dilettantische Weise versucht haben, der Macht von Symbolen zu bedienen, die sie weder zu verstehen noch zu nutzen im Stande waren. Zum Glück.